Jeder Blutgruppe ihre eigene Ernährungsweise, so empfiehlt es die Blutgruppendiät und verspricht dadurch Gesundheit und Gewichtsabnahme.
Ich bin Blutgruppe 0 und besitze laut Peter D’Adamo den Stoffwechsel eines Steinzeit-Jägers. Folge ich seinen Ernährungsempfehlungen, dann bin ich von nun ab Fleischfresser in Reinkultur.
Der Amerikaner Peter D’Adamo ist der Erfinder der sogenannten Blutgruppendiät, ein Ernährungsprinzip das nicht nur der Gewichtsabnahme, sondern vor allem auch der Gesundheit dienen soll. Der Naturheilmediziner ist überzeugt davon, dass jede Blutgruppe nach ihrem eigenen Ernährungsverhalten verlangt und glaubt die Basis für seine Theorien in der Evolutionsgeschichte des Menschen gefunden zu haben.
Aus seiner Annahme, dass der Neandertaler zum Beispiel Träger der Blutgruppe 0 war, folgt seine Ernährungsempfehlung für Menschen derselbigen Blutgruppe 40.000 Jahre später: Viel tierische Fette, keine Milchprodukte und wenig Weizen – ganz nach dem Ernährungsplan unserer Vorfahren – zum Schutz vor chronischen Krankheiten und Übergewicht.
Wer seine Blutgruppe nicht kennt und isst was ihm gerade in den Sinn kommt, der hat Glück solange er Träger der Blutgruppe AB ist.
Oder aber er darf sich nicht wundern, wenn der Organismus sich dagegen wehrt. Die Ursache für zahlreiche Zivilisationskrankheiten glaubt D’Adamo in den sogenannten Lectinen gefunden zu haben. Diese Proteine besitzen Ähnlichkeiten mit spezifischen Blutgruppenmerkmalen und erreichen über die Nahrung das menschliche Blut.
Je nach Blutgruppentyp sollen diese Lebensmittel-Lectine verträglich sein oder eben auch nicht. Bei Unverträglichkeit komme es zu einer Reaktion, die einem Transfusionszwischenfall ähnelt: Rote Blutkörperchen agglutinieren (verklumpen), Zellen sterben ab und die Gesundheit wird dadurch erheblich beeinträchtigt.
D’Adamos Theorien geraten allerdings schon mit der Blutgruppe 0 stark ins Wanken, behaupten doch Humangenetiker, dass der Urzeitmensch zwar Fleischfresser war, jedoch Träger der Blutgruppe A. Was die Lectine angeht, liegt D’Adamo dagegen offenbar nicht ganz so falsch. „Lectine besitzen tatsächlich schädlichen Einfluss auf den Körper. Allerdings verlieren sie diese Wirkung, sobald man diese erhitzt“, erklärt Birgit Beck, Projektleiterin für Ernährung beim Verein für Konsumenteninformation in Wien.
Vor der vermeintlich schädlichen Wirkung der Lectine, braucht sich niemand zu fürchten. Große Wunder, wie die Abheilung von Magengeschwüren oder das Verhindern einer Metastasierung bei Krebs ist von einer Blutgruppendiät auch nicht zu erwarten. Wissenschaftliche Beweise für eine günstige gesundheitliche Wirkung fehlen und Fachleute gehen sogar davon aus, dass die Blutgruppendiät der Gesundheit des Menschen eher abträglich als zuträglich ist. „Eine ausgewogene Nährstoffversorgung ist bei dieser Diät nicht gegeben“, erklärt Birgit Beck und fügt an, dass für sämtliche Blutgruppen der vorgesehene Speiseplan zu fett- und eiweißreich gestaltet ist. Dass diese Diät eine Unterversorgung mit verschiedenen Mikronährstoffen mit sich bringen kann, ist offenbar auch dem Begründer D’Adamo nicht entgangen. Darum rät er zur zusätzlichen Einnahme diverser Nahrungsergänzungsmittel – selbstverständlich blutgruppenspezifisch. Bereits dadurch werden die Grenzen der Blutgruppendiät sichtbar.
Quelle:
http://derstandard.at/1263705442258/Genauer-Betrachet—Skurrile-Diaeten-Zweifelhafte-Blutgruppendiaet
Kommentar & Ergänzung:
Übersichtlich zusammengefasst sind die Empfehlungen der Blutgruppendiät bei Esowatch:
„ Nach D’Adamo richtet sich die Ernährungsempfehlung nach der Blutgruppe.
Blutgruppe 0: Die Träger dieser Blutgruppe sollen täglich Fleisch essen und stattdessen auf Getreide und Milch verzichten. Begründet wird dies damit, dass die Blutgruppe 0 die älteste menschliche Blutgruppe sei.
Blutgruppe A: Träger der Blutgruppe A sollen sich vor allem von Getreide und Gemüse ernähren und auf Fleisch und Milch verzichten.
Blutgruppe B: Träger der Blutgruppe B können nach D’Adamo als „Nomaden-Typ“ Milch, Fleisch und Getreide vertragen.
Blutgruppe AB: Träg er dieser Blutgruppe sollten vor allem Obst und Gemüse essen.“
Und hier weitere Widersprüche und Fehler in der Blutgruppendiät:
„ Abgesehen von einigen exotischen, nur in Ausnahmefällen zur Ernährung gehörenden Pflanzen wie Stechginster, Goldregen und Malven ist kein Lebensmittel bekannt, bei dem je irgendeine negative Wirkung von Lektinen auf den menschlichen Organismus nachgewiesen wurde. Lektine in Lebensmitteln werden zum größten Teil beim Kochen zerstört und gelangen gar nicht in den Darm. Nur im Reagenzglas binden Lektine an Antigene des Blutes.
Welche Blutgruppe die älteste „Urblutgruppe“ ist, ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen. In der Diskussion sind sowohl Blutgruppe A als auch Blutgruppe 0. Da Menschenaffen ebenfalls die Blutgruppen 0, A und B haben, gilt es als gesichert, dass die Blutgruppen nichts mit menschlichen Wirtschaftsformen zu tun haben.
Manche der Empfehlungen und Verbote sind absolut zufällig oder beruhen auf Fehlern. So ist zum Beispiel die angebliche Milchunverträglichkeit der Blutgruppen 0 und A nur die Folge einer Namensverwechselung. Zur Blutgruppe B gehört die Alpha-N-D-Galaktose, in Milch ist hingegen Beta-N-D-Galaktose enthalten. Die Moleküle dieser Galaktosearten sind zwar ähnlich (daher der ähnliche Name), die Wirkung im Organismus ist aber völlig unterschiedlich. Selbst wenn die Lektin-Theorie richtig wäre, wäre eine negative Wirkung von Milch auf Menschen mit Blutgruppe 0 oder A also völlig ausgeschlossen.
D’Adamo rät den Blutgruppen 0, A und AB, Milch zu meiden. In Deutschland wären das 80 Prozent der Bevölkerung. Nur in Asien ist die Blutgruppe B am stärksten vertreten. Die regionale Verteilung von Laktoseintoleranz widerspricht jedoch seiner Theorie, denn sie ist in Asien weit häufiger als im europäischen Raum. Primäre Laktoseintoleranz ist keine Allergie, sondern eine fehlende Mutation auf dem Chromosom 2.
Es ist nicht verständlich, warum Menschen mit Blutgruppe A, die besonders häufig in Europa ist (in manchen Ländern die Häufigste), die meisten Fleischsorten, Weizen und Milchprodukte nicht konsumieren sollten, die ja schon seit Längerem die Basis der Ernährung darstellen. Stattdessen wird zu vermehrtem Soja-Konsum geraten, was eher zu Trägern der Blutgruppe B passen würde: Diese Blutgruppe tritt am Häufigsten in Asien auf, nur dort ist Soja ein typischer Bestandteil der regionalen Küche. Das Ganze widerspricht auch der Theorie der Abfolge und regionalen Entstehung der Blutgruppen, weil nach D’Adamo die Blutgruppe A in der Kaukasus-Region, B in der Himalaya-Region entstanden ist. Warum dann ausgerechnet Menschen mit Blutgruppe A vermehrt Soja konsumieren und Milch bzw. Milchprodukte (gerade Menschen in der Kaukasus-Region sind für ihren Kefir-Konsum bekannt, Kefir wird für Blutgruppe A als neutral, für B und AB als bekömmlich eingestuft), Fleisch und Weizen vermeiden sollten, entbehrt jeder Logik.
Je nach Blutgruppe ist der Eiweißanteil der Kost teilweise überhöht, was Gicht oder die Bildung von Harnsteinen zur Folge haben kann. Die Gruppe der „Jäger“ erhält zu wenig Kohlenhydrate und Ballaststoffe.
Teuer ist auch der empfohlene Sekretor-Status (ca. 55€), der zur Verfeinerung des Konzeptes dient. Des Weiteren bietet D’Adamo zahlreiche speziell für Blutgruppen designte Nahrungsergänzungsmittel, die nur über bestimmte Online-Shops bezogen werden können. Abgesehen von den relativ hohen Kosten ist der Nutzen nicht belegt.
Bewertung der Diät durch die Stiftung Warentest: „Da wir trotz jahrhundertelanger Verstöße gegen diese Regeln immer noch am Leben sind, stellt sich die Frage nach dem Sinn und Unsinn der Diät. […] Eine Verklumpung von Blutzellen (durch Lektine, erg.) wurde bisher in keinem einzigen Fall festgestellt. Und Belege dafür, dass Erkrankungen durch die Blutgruppendiät positiv beeinflusst werden, fehlen ebenfalls.“
Aus einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE): „In keinem Fall ist wissenschaftlich dokumentiert, dass Lectine aus Lebensmitteln im Blut zu Verklumpungen (Agglutinationen) führen. […] D’Adamo verwendet ungesicherte, verführerisch einfach klingende Annahmen als Fakten und stellt Lectine in Nahrungsmitteln als eine generelle Gefahr dar. […] Die meisten pflanzlichen Lectine sind unschädlich. (…) Zudem zerstört Erhitzen die Lectinaktivität in fast allen Nahrungsmitteln mit Ausnahme von gerösteten Erdnüssen […].“
Quelle: http://www.esowatch.com/ge/index.php?title=Blutgruppendi%C3%A4t#ixzz1dQBj7geu
Ich bin immer wieder erstaunt, wie man mit völlig willkürlichen, widersprüchlichen, fehlerhaften Behauptungen und Ernährungstheorien einen Bestseller landen kann, nur weil man damit verbreitete Bedürfnisse nach Rat und Orientierung bedient.
Ähnliche Phänomene kann man im übrigen auch in der Pflanzenheilkunde beobachten, zum Beispiel mit den hoch fragwürdigen Fantasien über „Wesen und Signatur der Pflanzen“.
Siehe dazu:
Pflanzenheilkunde – Nebulöse Aussagen vom Wesen der Pflanzen
Zum Wesen der Heilpflanzen – Storchenschnabel gegen Schock
Die fragwürdige Rede vom Wesen der Pflanzen
Pflanzenheilkunde: John Ray zur Signaturenlehre
Wilde Möhre, Leberblümchen und die Signaturen der Heilpflanzen
Von Schopenhauers Feldblume zu den Signaturen der Pflanzen
Wesenhafte Urtinkturen: Genau nachfragen statt blind glauben
Signaturen der Pflanzen: Fragwürdiger Neuaufguss der Signaturenlehre
Naturheilkunde: Hoch fragwürdige Theorie von der Signatur der Pflanzen
Falls Sie an sorgfältigem Wissen über Wirkung und Anwendung von Heilpflanzen interessiert sind, finden Sie dazu meine Kurse und Lehrgänge oben über den Menüpunkt „Kurse“.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
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